Meinen letzten Text des Jahres widme ich dem Steptanz.
Rhythm Tap und das Zerlegen der Welt in die Regelmäßigkeit der 32 Takte eines Chorus hat mich unglaublich viel gelehrt über Rhythmus, Sounds, Zusammenarbeit, Zuhören, Dynamik und das Entwickeln einer eigenen Stimme. Dass mein Blog etwas mit Rhythmus und der Suche danach in der Welt von Teams und Führungskräften, in der ich mich sonst bewege, zu tun hat, kommt nicht zuletzt von meiner langjährigen Leidenschaft für diese Kunstform.
Bei Smalltalkgesprächen ist mit Steptanz meist noch immer der Name Fred Astaire, oder auch Gene Kelly verbunden. Vielleicht fällt einem auch Ginger Rogers, mit ihren mädchenhaft schwingenden Kleidern und hohen Absätzen, oder auch die wunderbare Eleanor Powell ein. Schnelles Klappern mit den Füßen: Mich hat es schon als Kind fasziniert. Damals dachte ich ernsthaft, die TänzerInnen hätten eine Art Kastagnetten an den Sohlen (dass es einfach fest angeschraubte Platten sind, die idealerweise gar nicht von alleine klappern, verstand ich erst, als ich als junge Erwachsene mein erstes eigenes Paar Schuhe kaufte). Heute bauen Filmemacher gerne immer dann Steptanz-Sequenzen ein, wenn es darum geht, dass der – meist männliche – Protagonist was echt Abgefahrenes kann und deshalb irgendwie bewundernswert ist. Zuletzt Lars Eidinger und Bjarne Mädel, auch Hugh Grant sowie Ryan Gosling mussten schon ran. Wir StepperInnen rollen im Dunkeln des Kinos meist gequält mit den Augen, freuen uns allerdings dann, wenn es den Nachwuchs in die Tanzschulen treibt.
Eine inspirierende Frau, die ich als Lehrerin in Workshops kennenlernen durfte, ist Brenda Bufalino. Ihre Ideen, Improvisationen und Choreographien haben für mehr als ein halbes Jahrhundert die Tap-Szene von New York aus in der ganzen Welt geprägt, als es mit den Erfolgen von Fred Astaire schon längst vorbei war. Sie ist Gründerin mehrerer erfolgreicher Tanzkompanien, mit Preisen ausgezeichnet und für Choreographien wie zu Charles Mingus‘ Haitian Fight Song nicht nur in der Tap-Community verehrt. Mit über 80 ist sie noch immer regelmäßig zu Gast in Workshops, in denen sich schweißtreibende Routinen zur richtigen shuffle-Technik („you can’t be dancing fast by practicing slow!!“) mit Geschichten aus New Yorker Jazzclubs und Anekdoten längst verstorbener Tanzikonen zu einem ganz eigenen Unterrichtsteppich verweben. Ganz nebenbei ist Brenda übrigens die Frau, die als erste in flachen Schuhen steppte. Ein Durchbruch für die weibliche Tap-Stimme; das zarte „klicke di klick“ der hohen Hacken ist seitdem zum powervollen „dung chaka dung“ der heutigen Performerinnen geworden. Was hätte uns Eleanor Powell noch alles erzählen können, hätte sie doch auch „gewichtigere“ Schuhe getragen!
Genauer hingeschaut, ist Steppen Musik machen und Tanzen zugleich. Für viele derer, die sich zur Szene zählen – ob als Performende, Lehrende oder als HobbytänzerInnen, ist es genau diese Mischung, die den Reiz ausmacht. Tap kann das Schlagzeug in einer Band sein oder auch die Melodie, oder die Melodie leise begleiten und in Bewegung umsetzen; alleine oder auch als Ensemble. Steptanz ist ernst, traurig, komisch, sanft, akrobatisch, langsam und rasend schnell, zart und leise, stimmungsvoll oder dumpf und laut und scheppernd. Vor allem aber ist es: Bewegung. Und emotionaler Ausdruck, der bei jedem / jeder anders klingt, auch wenn die Schritte gleich sein mögen.
Wie klingen meine Schuhe heute, in einem anderen Raum, wenn ich zu Gast bin in einem anderen Studio? In dem ich vielleicht keinen kenne, mich unsicher fühle? Wie laut sollte ich sein, um einen Mehrwert für die Musik, für die Gruppe zu schaffen, ohne die anderen zu übertönen? Möchte ich heute überhaupt was sagen, oder eher andere begleiten? Wie gehe ich damit um, dass meine Gruppe den Takt nicht halten kann und zu schnell zur Musik tanzt (was übrigens leichter passiert, als umgekehrt)? Was ist überhaupt meine Rolle hier in dieser Gruppe, in der Company, heute, morgen? Auf der Bühne und im Probenraum? Was möchte ich alleine zeigen und sagen, mit welchen Schritten möchte ich mich verstecken, weil andere sie so viel besser beherrschen? Will ich kreativ sein, improvisieren – oder lieber einer Choreographie folgen?
„Your body is only responding to your emotional force. It can’t be separated”, sagt Brenda Bufalino, in einem „Daily 360“-Video, das die New York Times zuletzt mit ihr drehte. Für mich brauchte es viele Jahre, um das wirklich zu verstehen. Sie selbst zieht täglich ihre Schuhe an, als Profi arbeitet sie nach wie vor daran, ihre Technik zu halten (nicht mehr: verbessern zu müssen, eine Freiheit, wie sie betont). Verlorenes wird mit Disziplin täglich wieder eingeübt, verändert, angepasst.
Doch auch sie kennt Zeiten des Zweifelns. „There is a moment when our talent runs out, when we have used all the resources that nature, our ancestors, our genes and our intuition have made available to us, and nothing new appears” schreibt sie in ihrer Autobiographie Tapping the source. “This is the moment the real work begins”. In der Situation, die sie beschreibt, tritt sie mit ihrem Tanzpartner und Mentor, Charles “Honi“ Coles, regelmäßig für Konzerte in London auf. Der Sound ihrer Schritte jedoch fühlt sich als Wiederholung an, irgendwie langweilig, irgendwie falsch. „Vielleicht ist dein Stil zu dicht (“crowded”), gibt ihr Honi Coles als Feedback. “Yes, I know, you got it from me, but it’s not a good idea to crowd so much.” Brenda fängt an, mit gezielten Pausen zu arbeiten. Langsame Parts mit schnellen…. durch eine Pause zu verbinden. „I waited, waited, and waited. And then rushed. Hesitation and anticipation – how much clearer everything sounded after a year of working on this.” Zögern und Erwartung: Was auf Deutsch irgendwie nach holprig übersetzter Jane Austen Roman klingt, wird als Hesitation and Anticipation zur Leitlinie von Brendas Choreographien, ihren Improvisationen und ihres Unterrichts. Durchatmen, bevor es weitergeht, Pausen nutzen, für die Wechsel: von den Achteln zu den Sechzehnteln zu den Triolen und zurück. Dann ist jedes Tempo interessant; und auch langsam sein bedeutet nicht: schwerfällig, sondern ist die logische Konsequenz der schnellen Passagen.
Ob auf deutsch oder englisch: Zögern hat keinen besonders hohen Stellenwert im Narrativ des heutigen Erfolgsmenschen, und begegnet heute eher in der Negativ-Form. „Investors shouldn’t hesitate to buy“… „xy says he / she won’t hesitate to…”/ “Cloud-Konzepte: bloß nicht zögern!”, sagen die Überschriften. Erwartung halten wir als Werbesprech im Advent vielleicht noch aus, aber jetzt ist das doch bitte auch mal vorbei, ja? Dabei liegt gerade im Zögern, im Schaffen einer Erwartung die Möglichkeit, etwas wirklich Kraftvolles, Neues zu kreieren. Bewusst die Pause zu halten. Bevor es weitergeht, in einem fürs Publikum ungeahntem Tempo. Oder in einen anderen Rhythmus.
“I hope this theory has helped dancers achieve with their feet the song they sing in their hearts”, gibt Brenda mir noch mit auf den Weg.
Liebe LeserInnen, danke für all die netten und ermutigenden Kommentare zu diesem Blog, die mich seit dem Start im Juni erreicht haben. Ich wünsche Euch allen, den richtigen Song für 2019 zu finden, und einen Jahresbeginn, für den ihr nach Genuss einer Pause Euren richtigen Rhythmus findet. Vielleicht probiert ihr es zwischendurch mal mit gesundem Zögern. Eine Viertelnote lang nur. Es könnte Eure Geschichten noch spannender machen!
Bis bald im neuen Jahr –
Monika
Lovely blog on keeping at things over time and exploring new ways of seeing old things. Very inspiring. Have sent myself the link to Brenda tapping for review ahead of my next birthday.