Zu den zahlreichen Dingen, die sich dem berufstätigen erwachsenen Menschen als Freizeitbeschäftigung anbieten, gehört die Welt der Inneneinrichtung. Einst noch auf Ikeas Poäng glücklich in der Studenten-WG gewippt, merkt selbst der genügsamste Zeitgenosse irgendwann, dass es Zeit ist, sich dem Möbelkauf auf einem advanced level zuzuwenden und den splitternden Pressspan hinter sich zu lassen. Das ist allerdings zeitaufwändig. Wer jemals mit seiner/m PartnerIn Stühle fürs gemeinsame Esszimmer erworben hat, weiß, wovon ich rede. Dabei gehört ja eigentlich nicht viel dazu: Sitzfläche. Beine. Lehne, wenn möglich. That’s it.
Dass man sich auch als Musikerin mit Stühlen auseinandersetzen und diese in Sound übersetzen kann, habe ich von Fee Stracke gelernt. Sie ist Jazzpianistin und Komponistin in Berlin und hat gerade ihr Album „Instrumental Chairs“ veröffentlicht. Wir kennen uns seit langem, mit ihrem Talent für Improvisation und Komposition ist sie nicht nur in der Berliner Jazzszene, sondern auch bei Improtheatergruppen und Tanzstudios in Berlin gern gesehene Musikerin und Begleitung. Bei ihren Kompositionen ist sie auf der Suche nach der Schönheit von Sound. Und lässt sich dabei von der Schönheit von Form inspirieren.
Das Projekt „Musik in Möbeln“, im Rahmen dessen nun das Album erschien, und mit dem sie die Ideen der Bauhaus-Bewegung kompositorisch aufgreift, begleitet sie bereits einige Zeit. Was meint der Projekttitel? „Ich habe mal bei einer Ausstellungseröffnung gespielt. Jemand sagte zu mir, das gefiele ihm sehr gut. Meine Musik sei wie die Erik Saties „Musique d’ameublement“. Wie ein Möbelstück, das im Raum steht aber nicht stört, man benutzt es, denkt aber währenddessen nicht darüber nach. Das war in dem Fall ein Kompliment; man könnte auch denken ‚So uninteressant wie ein Schrank‘ aber so war es in dem Fall nicht gemeint.“ Zu Satie gibt es die These, dass er seine Musik als politisches Statement gegen die Industrialisierung gemeint hat, die Berufe wie den des Tapetenmalers überflüssig machte. Fee Stracke geht es mehr um die Musik selbst. „Man kann sie teilweise im Hintergrund laufen lassen, teilweise nicht. Ich will nicht, dass sie stört, aber ich will ab und zu, dass da ein Ohr hingeht und etwas verfolgt wird. Man denkt ja, Möbel seien sehr systematisch, aber Emotion spielt doch eine große Rolle.“
Die grundsätzliche Inspiration, als Komponistin mit Möbeln zu arbeiten, hatte sie in einer Klasse des Jazz-Trompeters Dave Douglas. Er erläuterte verschiedene Möglichkeiten, wie man an eine Komposition herangehen kann. Man kann beispielsweise eine Landschaft musikalisch umsetzen, indem man sich einen Parameter setzt. Wenn man beispielsweise, ganz simpel, ein Foto der Berge auf die Notenlinien legt, hat man im Grunde schon ein Produkt, mit dem man sich dann auseinandersetzen muss.“ Die Klasse war Teil des Banff International Workshop in Jazz & Creative Music, gelegen in den kanadischen Bergen, den Fee 2012 als Stipendiatin besuchte. 3 Wochen lernen, üben und entwickeln hier jährlich rund 60 internationale Jazzmusiker ihre Arbeiten mit den Stars der internationalen Szene. Musik kann aus allem entstehen, so die Botschaft aus Banff. Aus einer Skyline kann eine Melodie werden, oder auch aus Blättern, die auf dem Boden liegen. Oder aus einem Hobby. Was habt ihr für ein Hobby, fragt einer der Unterrichtenden. Er selbst spielte Schach, und setzte die Regeln des Spiels harmonisch in Musik um. Eine Komposition entstand in Banff noch nicht, erzählt Fee Stracke. Aber die Inspiration trug doch Früchte.
Auf der Heimreise von Banff kam die entscheidende Idee, die sie nun, sechs Jahre und die Geburten zweier Kinder später später in ein Album umsetzen konnte. „Die Idee mit den Stühlen entwickelte sich buchstäblich im Flughafen. Ich schaute in den Wartebereich, auf die Stühle und sah: Stuhl – Stuhl – Stuhl – Tisch. Stuhl – Stuhl – Tisch. Da dachte ich, daraus kann man doch so ein System machen!
Letztendlich habe ich eine Ingenieur-Zeichnung und die Kombinationsmöglichkeiten der Traverse-Version des Plastic Side Chair von Charles & Ray Eames genommen und diese melodisch als System interpretiert.“ Klavier und Gitarre sind in ihrem System die Stühle; Bass und Schlagzeug sind die Bewegung außenherum. Mal ist viel los auf diesem Flughafen, mal wenig, man spürt förmlich die gestressten Manager, die von Gate zu Gate rennen. Müdigkeit, Abschied, Aufbruch, diese Stimmungen eingefangen in einer Melodie aus Stuhl und Tisch und Stuhl und Stuhl und Stuhl. Und Stuhl.
Das klingt dann so:
Das Konzept blieb im Kopf, und aus dem Flughafenstuhl entwickelte sich die weitere Recherche und das Projekt „Musik in Möbeln“ bzw. die „Instrumental Chairs“ als Überschrift für weitere Kompositionen. Sie sichtete Nachlässe, Zeichnungen, Kataloge. Im Bauhausarchiv, im Kunstgewerbemuseum Berlin und in weiteren Museen n hatte sie Zugang zu den Stühlen unter anderem der Bauhaus-Designer und durchstöberte deren Nachlässe. „Dort wo ein Impuls kam, dort habe ich das genommen. Ich habe mich dann hingesetzt und loskomponiert.“
Über den Lauf der Zeit wurden ganz unterschiedliche Modelle vertont, von der berühmten „Ameise“ von Arne Jacobsen über den Freischwinger zum Boston Love Seat, einem engen Sofa, auf dem man sich kennen muss, wenn man nebeneinander sitzt. Folgerichtig ist der Boston Love Seat ein Duo, vertraut in der Zusammenarbeit. Manche ihrer Kompositionen enthalten bewusst improvisierte Sequenzen „Man kann Improvisation wie ein Gespräch betrachten; und das Aufeinandertreffen unterschiedlichen Universen. Wenn ich auf jemanden treffe wie Daniel Meyer (der Gitarrist auf dem Album), mit dem ich musikalisch etwas anfangen kann, dann klappt das natürlich besser als mit anderen. Das intuitive Zusammenspiel mit ihm hat einfach super funktioniert. Wir haben uns dann zu zweit öfter getroffen; als ich das Stipendium des Berliner Senats für die Fertigstellung der CD hatte, wollte ich neben Berit Jung und Hampus Melin, meine langjährigen Begleiter und Freunde, gerne auch Daniel dazu nehmen. Wir beide sind zusammen wie ein Instrument. Eigentlich sind wir zu viert ein Trio.“ Die Herangehensweise über die Möbelstücke und die damit verbundene Beschränkung auf konkrete Vorgaben, Parameter, wie sie es nennt, halfen ihr im kreativen Prozess.
„Parameter sind die Spielregeln, die ich mir aufgrund der Zeichnungen der Stühle in der Komposition setze. Ich will beispielsweise eine bestimmte Tonleiter, weil ich den Sound interessant finde. Wenn ein Tisch ist, geht es hoch, wenn kein Tisch ist, geht es runter. Für den Ulmer Hocker, dem Modell von Max Bill, habe ich mit Längen-, Breiten- und Höhenmaßen gearbeitet. Ich habe geschaut, welche Frequenz 88 Tasten haben und die Zahl für das Breitenmaß in cm bzw. mm in Frequenzen übersetzt und die passenden Tasten gesucht. Dies dann für die Höhe und die Länge ebenso. Dann habe ich Akkorde aus diesen Tönen entwickelt und auch mit den jeweiligen Noten in anderen Lagen gearbeitet. Dadurch entstanden Akkorde bei der Komposition die ich dann wiederum frei benutzt habe.“ Das selbst gesetzte Reglement ermöglichte ihr eine kompositorische Spielwiese, die sie zuvor nicht kannte, und die sie, statt sie einzuschränken, entspannter machte. Und aus der trotz des systematischen Ansatzes emotionale Stücke entstehen. Der Ulmer Hocker wurde zur Keimzelle von drei Stücken des Albums. Er ist das einfachste Möbelstück aus der Serie, entstanden 1954 als ein Vorreiter des Do-it-yourself findet man ihn noch heute in Seminarräumen, Museen und Schulen.
Das, was in der Komposition einschränkt, ist dann ganz weg, wenn es an den Auftritt geht. „Wenn wir spielen, denke ich überhaupt nicht an die Möbel. Da bin ich in ganz in der Musik. Am besten denke ich an nichts. Wenn es sich frei anfühlt, ist es am besten.“ In der Komposition wie in der Improvisation. Die Frage, was improvisiert sei und was komponiert, ist jedoch fließend, so Fee. „Ein berühmter Pianist hat mal gesagt, der klassische Musiker muss sein Stück so gut kennen, dass es klingt, als ob er improvisiert. So schafft man es, die Musik frisch und authentisch wirken zu lassen. Und über die komponierten Teile hinaus, lassen wir dann aus dem Moment ganz neue Dinge entstehen, wenn wir frei improvisieren.“
Meine Lieblingszeitung hat in einem Feature über Stuhldesign mal einen Satz geschrieben, den ich einfach klaue, weil ich ihn so schön finde: Der Stuhl als Statussymbol und Accessoire ist der neue Eyecatcher der privaten Inszenierung. Heißt, ein Stuhl ist nicht einfach ein Stuhl, sondern ein statement.
Die Musik von Fee Stracke ist auch ein solches statement. Sit down and listen.
Live das nächste Mal am 31. Januar 2019, B-Flat, Dircksenstr 40, Berlin, http://www.b-flat-berlin.de
Bildquelle Titelbild: Vitra
Freu mich schon auf unser Interview 😊
Am 1.12. bin ich zurück in Berlin
Liebe Grüße!
Sylvie