Und wir sind dann Helden

Auf der Suche nach Kreativität 4.0 gehört es für Unternehmen fast schon zum guten Ton, Tagungen oder Workshops zu veranstalten in halb umgebauten Lofts in Berlin Neukölln oder im Wedding. Gerne noch mit ein bisschen Bauschutt-Optik, in ehemaligen Manufaktur-Räumen oder Hinterhof-Remisen mit selbstgezimmertem Mobiliar aus Europaletten. Endlich mal ein bisschen Start-up Spirit für die eingerosteten Mitarbeiterseelen, zieht Euch Sneakers und ein T-Shirt an, Hi, ich bin der Marc, und hier duzen wir uns übrigens, das W-Lan Passwort „COOLdassIHRdaSEID!“. Los geht’s, wir zeigen Euch, wie das geht mit der Kreativität. Powerfood aus Palmblätterbowls for Lunch und dazu Ingwertee, krass wie man hier arbeitet, echt super, was da so entstehen kann, lasst uns doch eine Community sein.

Die Hotspots der digitalen Bohème sind gefühlt sehr weit weg, wenn man zum Hotel Vienna House Andel’s Berlin fährt, auch wenn es nur ein paar Kilometer sind. Lange Zeit war der Ort, an einer der größeren Ausfallstraßen in Berlin-Lichtenberg gelegen, eine Bauruine; erst nach diversen Investorenwechseln konnte das Haus 2009 eröffnen. S-Bahnhof, Tramhaltestelle und das Forum Landsberger Allee vermitteln den huschigen Baupragmatismus der 90er. Der Betrieb in der Lobby summt mit der leisen Professionalität der Servicekräfte, Rollkoffer werden verstaut, Taxis bestellt. Berlins Touristen brauchen Betten und nicht jeder kommt im schicken Mitte unter, zwischen 500 und 1000 Gästen kann das Hotel beherbergen. Tagungen finden statt und Reisegruppen werden mit Bussen angeliefert. Auf den ersten Blick ein Hotel wie jedes andere, ein Ort der Durchreise, der Anonymität und der flüchtigen Schicksalsgemeinschaft. Handlungsreisende müssen hier nicht kreativ sein, komm setz dich, sagt das blaue Sofa in der Lobby, und nimm einen Drink.

Ich bin keine Reisende, und halte mich nur kurz hier auf, mein Weg führt mich über den Fahrstuhl in die 12. Etage. Hier öffnet sich eine andere Welt. Gegossener Zementboden, Designermöbel kombiniert mit Flohmarktdevotionalien. Und eine Aussicht, bei der man zweimal zwinkert, weil es nicht die klassische Berlin-Postkarte ist, die man sonst am Alexanderplatz kaufen kann.

Wie ist es, jeden Tag durch eine Hotellobby zur Arbeit zu gehen, frage ich Barbara Merll, mit der ich mich für ein Gespräch hier oben treffe, genauer gesagt: im Sterne-Restaurant Skykitchen. Dort ist sie Maître, Restaurantleiterin. Ihr Arbeitstag beginnt mit dem Gang durch die Lobby und dem Grüßen der Kollegen im Büro. „Für mich ist das Hotel ein Zuhause. Ich bin im Hotel meiner Eltern groß geworden und fühle mich hier wohl.“ Hier ist genau das ihre Rolle: Ein Zuhause für einen Abend anbieten. Würde sie erzählen, dass sie auch sonst im Hotel lebe: man nähme es ihr sofort ab. Jetzt, am Nachmittag, flutet die Sonne den Raum; der Blick auf den Fernsehturm während des Sonnenuntergangs ist es, der am Abend den besonderen Charme des Ortes ausmacht. Still ist es, ein wenig Geklapper aus der Küche, die Vorbereitungen für den Abend laufen. Barbara Merll ist in der Regel die Erste. Sie genießt die mittägliche Ruhe zum Mails beantworten und Bestellungen aufgeben. Wenn um 18 Uhr die ersten Gäste kommen, ist für sie und ihre Kollegen schon der erste Teil des Arbeitstages vorbei. Servietten sind gefaltet, Besteck poliert, Tische eingedeckt. Kurz vor Öffnung bespricht das Team, welche besonderen Gäste heute erwartet werden, Geburtstage? Allergien? Vorlieben? Platzwahl? Das Lokal ist weit über die Grenzen Berlins bekannt, für eine Tischreservierung muss man zwei Monate Vorlauf einplanen.

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Das war nicht immer so: Erst 2014 entschied der Inhaber, das bis dahin wenig bekannte Restaurant a.choice im 2. Stock in das ehemalige Café in der 12. Etage umzuziehen, endlich die Berliner Skyline im Sonnenuntergang für Gäste zugänglich zu machen, eine Bühne zu schaffen für exquisite Küche auch über das Hotel hinaus und den Ort in Skykitchen umzubenennen. Barbara Merll war damals bereits Teil des Teams; schon für das a.choice hatte sie ihren Job als stellvertretende Restaurantleiterin im Hotel Adlon aufgegeben und gemeinsam mit ehemaligen Kollegen und Freunden, darunter der unbekannte Koch Alexander Koppe, den Versuch gestartet, den Gästen mehr anzubieten, als durchschnittliche Hotelküche für Durchreisende.

Mit überschaubarem Erfolg. „Wir haben immer sehr gut gekocht, aber auf verlorenem Posten“, erzählt sie im Rückblick. „Man muss ehrlich sein: Kein Mensch fährt in die Landsberger Allee, um dann in einen Innenhof zu gucken, und dort dann so etwas zu essen. Manchmal hatten wir gar keinen Gast. Für die Jungs in der Küche war es wirklich frustrierend. Wir haben das Essen dann manchmal an die Kantine verschenkt.“ Mit dem Umzug nach oben und der Neueröffnung sollte auch unbedingt noch ein weiterer Küchenchef mit internationalem Renommee dazu kommen. „Schließlich kannte niemand den Alex. Für uns, das Restaurantteam, war das alles ok. Wir planten eine klassische Vierfachbelegung am Abend und ein Dreigangmenü.“

2014, das war das Jahr, in dem Alfred Biolek bereits lange vom Fernsehbildschirm verschwunden war. Eine neue Generation in Deutschland hatte ernsthaft wieder begonnen, sich für Sterneküche wie Tim Raue zu interessieren, foodblogs zu lesen und Investitionen in die häuslichen Küchenausstattungen vorzunehmen. Und es war das Jahr, in dem ein Hotelrestaurant in einem Hinterhof in Berlin-Lichtenberg einen Michelinstern für seine kreativen Küche erwarb, den an diesem Ort keiner erwartet hätte. „Pre-Opening für hier oben war im Dezember. Der Stern kam im November. Wir haben über Nacht das ganze Konzept, das wir für ihr oben hatten, über den Haufen geworfen, und alles nur noch auf Alex gemünzt.“ Alexander Koppe wird zum Star und zum Aushängeschild des Restaurants. Für den Umbau wird ein Innenarchitekt beauftragt; Gäste aus dem Ausland kündigen sich an, ein Sommelier wird gesucht. 2017 dann erneut eine Auszeichnung, Barbara Merll selbst wird von der Zeitschrift Rolling Pin – der „Koch-Bravo“, wie sie schmunzelnd ergänzt – zur Maître des Jahres ausgezeichnet.

„Eigentlich tue ich mich schwer mit solchen Auszeichnungen. Jeder, der in der Eckkneipe am Tresen steht und täglich dieselben Gäste vor sich hat, hat das genauso verdient; deren Job ist deutlich schwieriger als meiner. Man sollte sich selbst nicht so wichtig nehmen. Für mich sind auch Köche in erster Linie Köche, und keine Popstars. Wir fliegen nicht zum Mond und wir heilen keinen Krebs. Ich finde es nicht schlimm, zu sagen, dass wir im Service Kellner sind, denn das ist unser Beruf.“  Es gefällt ihr, dass gerade auch jüngeren Leute wieder mehr essen gehen und zu ihren Gästen zählen, darauf achten, wie sie sich kleiden und benehmen. „Ich finde, wie man sich in öffentlichen Räumen bewegt, zeigt, wie man als Mensch ist.“  Stolz macht sie auch, dass sie als Team viele der alten Lichtenberger Gäste behalten haben. „Auch die Omi, die hier drüben wohnt, kommt manchmal und gönnt sich etwas. Sterne-Gastronomie hatte ich eigentlich für mich immer ausgeschlossen. Ich wollte nie dieses ‚Chichi‘. Es sind Getränke. Es ist Essen. Es soll einfach ein schöner Abend werden. Ich brauche auch keinen Applaus geben, wenn mich ein Pilot irgendwo hingeflogen hat. Essen und Trinken sind Dinge, die machen einen glücklich oder eben nicht.“ Sie selbst isst am liebsten Markklößchensuppe. Oder, als gebürtige Saarländerin, Kartoffeln. „Jeder von uns bevorzugt die einfache Küche, die es zuhause gab!“

Hand in Hand arbeitet das Team, wenn es dann losgeht am Abend, die Hochphase dauert ungefähr vier Stunden. Zwei Menüs mit zwischen 4 und 10 Gängen werden angeboten; dazu immer mal ein Gruß aus der Küche. Die Musik im Hintergrund, erfahre ich, sind playlists, je nach Stimmung, von den Mitarbeitern gestaltet. Das Glas stets gefüllt, der nächste Gang im richtigen Moment auf dem Tisch: Was ist eigentlich der richtige Rhythmus für eine Menüfolge? Ich lerne: Nicht die Küche gibt den Takt vor. Maître und Serviceteam steuern das Tempo je Tisch und sagen der Küche, wieviel Zeit sie hat. Wie entscheidet man das? „Es klappt nicht immer, aber wir versuchen es. Es sind kleine Sachen, an denen man merkt, was die Gäste brauchen. Die einen kommen, sind total entspannt und schauen erstmal raus. Der nächste fragt direkt nach der Karte; und es kann nicht schnell genug gehen. Es ist ein bisschen Psychologie, und ein bisschen Aufmerksamkeit.“ Am liebsten hat Barbara Merll ganz normalen Menschen, „die einfach essen gehen, um es sich gutgehen zu lassen. Miteinander sprechen, einen schönen Abend verleben möchten und nicht aus Langeweile hierher kommen“. Sie und ihr Team führen ihre Gäste unmerklich durch den Abend und verständigen sich mit Blicken, kleinen Gesten, Codes, kaum sichtbar für Nichteingeweihte. Und schicken alle um ein kleines Stückchen Glück bereichert wieder nach Hause. Die Sonne geht unter über Berlin, und wenn David Bowie auf der playlist dran ist, weiß auch das Team, dass der Arbeitstag bald zu Ende ist.

Ihr Serviceberuf braucht die Bühne, findet Barbara Merll. Und nicht immer ist man selbst für den Auftritt in Hochform. Der Teamzusammenhalt ist es, der sie stützt. Sie ist als Restaurantleiterin auch Führungskraft, spricht aber nicht von MitarbeiterInnen, sondern von ihren zauberhaften Kollegen. „Ich bin nicht der Typ ‚ohne mich läuft nichts‘. Wir sind alle gleichgestellt. Ich stelle mich hin, wenn es auf den Deckel gibt, ansonsten sind wir ein Team, und jeder fängt den anderen auf.“ Wenn einer einen schlechten Tag hat, oder nach der Hälfte des Abends einen Durchhänger verspürt, zieht er sich zum Abwasch in die Küche zurück, ohne viele Worte zu verlieren. „Dafür ist sich keiner zu schade, das macht jeder.“ Die Kollegen springen dann ein, und übernehmen. Wenn nach 23 Uhr dann der letzte Gast weg ist, tauscht man sich noch auf dem Sofa aus, um den langen Tag ausklingen zu lassen. Von der Playlist kommen jetzt härtere Elektrobeats. Das Vokabular verändert sich, man ist backstage. Auch außerhalb verbringt das Team Zeit miteinander; essen gehen, um neue Restaurants oder Küchen kennen zu lernen, Konzerte. Work und Life verschwimmen, nach Balance fragt hier keiner, die Bedingungen sind hart, auch für jemanden, der Hotel im Blut hat. Gastronomen unter sich sind eine enge Community, geeint vom Rhythmus der langen Nächte, in denen sie für andere Gastgeber sind. Ein Döner nach der Arbeit vielleicht, noch ein Drink mit den Kollegen. Echtes Privatleben ist kaum machbar, Fitness-Studios und Kinos sind lang geschlossen, wenn der Arbeitstag zu Ende ist. „Das ist das einzige, was an dem Beruf der Wermutstropfen ist. Dass man bei Geburtstagen nicht dabei sein kann. Dass man nicht immer auf Konzerte gehen kann.“ Sie sieht darin den Hauptgrund, warum sich die meisten mit spätestens Anfang 40 überlegen, etwas anderes zu machen; oder gar nicht erst anfangen, allem Enthusiasmus für die Gastronomie zum Trotz.

Mein Weg zurück führt wieder durch die Hotellobby auf die lärmende Landsberger Allee, „tschüss!“ ruft das Sofa. Tschüß, sage ich. Ich komme mal wieder, dann als Gast. Kreativität und Ideen, und ein selbstverständlicher Teamgeist Gleichgesinnter, ganz ohne NewWork-Coaching und bunte Klebezettel. Wie schön, dass es das hier gibt. Und vielleicht noch an mehr Orten, als man denkt?

Was wir heute abend zusammen kochen? Mmmh, mal überlegen. Vielleicht was mit Kartoffeln?

Monika Danner

PS. Dies ist kein food-Werbeblog und auch kein gesponserter Beitrag. Aber wer das Restaurant besuchen möchte, findet es hier.

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Fotos: (c) Vienna House

2 Gedanken zu “Und wir sind dann Helden

  1. Was für ein schöner Text über den Rhythmus der Food-Worker. Und Appetit nacht er such. Vielen Dank dafür.

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