Ist das Team noch im Boot?

Dieser Sommer ist ein Sommer ist ein Sommer. Eigentlich super… oder? Ehrlicherweise bin ich jedoch bei 30 Grad plus ganz schön aus dem persönlichen Wohlfühl-Takt und sehne mich nach kühleren Temperaturen. Es muss ja nicht gleich hitzefrei sein, aber Hand aufs Herz: Die meisten passen nach Möglichkeit in der Hitze ihren Arbeits- und Lebensrhythmus an – durch früheres Aufstehen, kürzere Arbeitstage vielleicht, oder weniger meetings. Homeoffice mit Eistee. Wir sind eben Menschen, und trotz aller Technik in Abhängigkeit von der Umwelt, die uns umgibt.

Meinen Hut ziehe ich vor denjenigen, deren Höchstleistung trotz aller Widrigkeiten der Umwelt wie Hitze oder auch Regen gefragt ist. Den Leichtathletik-Profis zum Beispiel, die derzeit bei 34 Grad in Berlin zu Hochform auflaufen. Wie geht das bloß mit der Perfomance in solchen Wettbewerben? Wie steuert der Profisportler seinen Rhythmus aus Leistung und Erholung?

Mit diesen Fragen nahm ich mit der einzigen Person, die mich mit der Welt des Leistungssports verbindet, Kontakt auf.

Ich lernte Catherine Bishop und ihre faszinierende Geschichte als Ruderweltmeisterin vergangenes Jahr bei einer Konferenz in Ashridge bei London kennen. Wenig älter als ich, hat sie schon drei erfolgreiche Karrieren aufzuweisen, und ist ganz nebenbei noch promovierte Literaturwissenschaftlerin: als erste britische Gewinnerin einer Olympia Medaille in Athen und Weltmeisterschaftsgewinnerin im Rudern, in der anspruchsvollen Bootsklasse „Zweier ohne Steuerfrau“. Anschließend als britische Diplomatin mit Einsätzen in Basra im Irak und in Sarajewo. Als Workshopmoderatorin und Speakerin ist sie heute unterwegs; so trafen wir uns auch.

Das Thema Takt und Rhythmus im Leistungssport spricht sie sofort an. „Im Rudern geht es in erster Linie um Rhythmus. Rhythmus macht oft den Unterschied aus zwischen einer guten Crew und einer exzellenten Crew“, schreibt sie mir zurück. Sie wählt das Wort ‚X-Factor‘, um zu beschreiben, wie essentiell der richtige Takt im Rudern ist. „Er ist das Herzstück für Geschwindigkeit des Bootes. Rhythmus entsteht aus dem Kontrast und der Gleichmäßigkeit zwischen dem Moment, wenn du den Riemen durchziehst, und dem Moment, wenn du dich ‚erholst‘ und nach vorne gleitest, während das Wasser unter dem Boot entlang fließt. Und natürlich hat auch das Wasser einen eigenen Rhythmus!“

Das heißt, es geht gar nicht um die Optimierung der Leistungsfähigkeit des Einzelnen? Ja, klar, jeder Sportler müsse seinen individuell passenden Ablauf von Training, Nahrung und Schlaf finden. Im Trainingscamp, berichtet Cath, funktioniere das für manche besser als kurze „Naps“ zwischen den drei täglichen Trainingseinheiten, für andere eher durch frühes Zubettgehen. Dabei geht es für sie jedoch um mehr als nur darum, das körperliche Maximum herauszuholen. Ihren eigenen optimalen Rhythmus beschreibt sie so: „Wenn Geist und Körper so zusammenarbeiteten, dass Anstrengung nicht mehr anstrengend ist, man innerlich eine Harmonie spürt und nicht im Kampf mit sich ist… Wenn der Körper über sich hinausgehen kann, aber durch Erholung wieder ausgeglichen wird, dadurch stärker wird – und dann erneut durch diesen Kreislauf läuft.“

Wir kommen wieder auf den Takt im Rudern zu sprechen. Der Rhythmus sorge dafür, zwischen den Ruderzügen wieder zu Kraft zu kommen und so die eigene Kraft maximal auszunutzen. Zwischen 36 und 40 Zügen pro Minute mache ein Ruderer in einem Rennen. Kraftanstrengung und Erholung folgen im Sekundentakt aufeinander. „In Booten ohne Rhythmus arbeitet man oft extrem hart, und erzielt dennoch eine geringere Geschwindigkeit. In der Regel sucht man immer nach einem Rhythmus, versucht ihn zu verstärken oder auszubauen. Wenn du den Rhythmus verlierst, verlierst du auch das Rennen. Du verlierst die Verbindung zu den Teamkameraden. Und zum Wasser.“

Und wie findet man diesen Rhythmus im Team, frage ich sie. Bislang dachte ich mit meiner allenfalls Spreewald-tauglichen Paddelerfahrung, nun ja, man steigt ins Boot, an die Riemen und los geht’s. Vielleicht ein bisschen an Technik schrauben. Krafttraining. Das reicht jedoch nicht, erklärt mir Cath. „Ruderer verbringen einen Großteil ihrer Trainingszeit damit, einen gemeinsamen Rhythmus aufzubauen, und Rhythmus zu diskutieren. Wir empfinden den Rhythmus unterschiedlich, je nachdem, auf welchem Platz man im Boot sitzt. Deshalb ist es wichtig zu hören, wie sich der Rhythmus für die anderen im Team anfühlt.“ Das Gefühl, in einer neuen Crew sofort oder sehr schnell, ohne viele Worte einen gemeinsamen Takt zu finden, beschreibt sie als ähnlich erhebende Erfahrung, wie einen Menschen zu treffen, mit dem spontan die Chemie stimmt und zu dem man sich hingezogen fühlt.

Gerade die Erfahrung, dass sich Rhythmus trotz der Nähe in einem Ruderboot auf jedem Platz anders anfühlt, und im Training deshalb intensiv besprochen wird, finde ich spannend. Im gleichen Team auf engem Raum, und dennoch ist die Wahrnehmung dessen, was gerade passiert, unterschiedlich. Viel mehr als um die Selbstoptimierung des einzelnen, um Kraft und Können geht es um Hören und Verstehen des gemeinsamen Rhythmus, wenn man als Team erfolgreich sein will. Und nur eine kleine Änderung der Umgebung, des Wetters, der Temperatur, der Leistungsfähigkeit eines Team-Mitglieds, kann den Rhythmus wieder ändern und alle müssen sich anpassen. Wenn Anstrengung nicht mehr anstrengend ist: vielleicht hilft hitzefrei in manchen Teams tatsächlich, um dorthin zu kommen. Vielleicht aber auch ein Gespräch über den Takt im Team und die Bedürfnisse aller. Gönnt Euch doch einen Eiskaffee dazu und setzt Euch ans Ufer des nächsten Flusses. Dann verliert ihr auch nicht die Verbindung zum Wasser.

Monika Danner

PS.: Wer auf den Geschmack gekommen ist und diesen Text für kluge Einwürfe vor dem heimischen Bildschirm nutzen will: Die Ruderweltmeisterschaften 2018 finden vom 9. bis 16. September 2018 in Bulgarien statt.

Cath Bishop ist eine tolle Rednerin, die das Publikum mit ihrer Geschichte auf dem Weg zum Olympiaerfolg begeistert. Sie kann über kontaktiert werden über www.cathbishop.com

Philipp Meer Island
photocredit: Philipp Neumann