3 mal x = Auszeitformel

Endlich Urlaub! Sonne, Sonne, Strand – könnte das nicht ewig so weitergehen? Ein #Sabbatical müsste mal her, um richtig zu entspannen! …habe ich auch oft gedacht und irgendwann: einfach gemacht. Meine Empfehlung für jede Auszeit: Eine gute Struktur und realistische Wünsche helfen, innerlich zur Ruhe zu kommen. Auch ohne Meer und Strand.

Ich bin seit sechs Monaten im Sabbatical. Das heißt, ich bin nicht im engeren Sinne berufstätig für die Organisation, bei der ich angestellt bin, obwohl ich ihr weiterhin sehr gerne angehöre. Weitere sechs Monate werden folgen, allerdings weder in der Südsee noch an der Côte d’Azur. Mit Neid kann ich mittlerweile umgehen, auch mit der erstaunten Reaktion, dass ich einfach „nur“ in Berlin geblieben bin. Denn laut einer vor zwei Jahren erschienenen online-Umfrage des online-Forums wimdu möchten 43 Prozent der Deutschen zwar gerne eine Auszeit vom Job nehmen, und über die Hälfte davon gibt Reisen als Hauptgrund an. Nur ein Bruchteil jedoch geht den Schritt wirklich; zu hoch scheinen finanzielle Ängste, familiäre Zwänge und die Hürden der Vorsprache beim Chef.

Das Sabbatical ist Teil der Leistungsgesellschaft

Der Begriff jedoch hat Konjunktur und mittlerweile einen festen Platz in der Karrieresemantik der 2010er; ganz anders als die Elternzeit, die nur allmählich ihren leicht nach Windeln müffelnden Ruf intellektueller Verarmung hinter sich lässt. Das Sabbatical transportiert in unserer Leistungsgesellschaft einen gesunden und sozial erwünschten Regenerationswillen, der endlos Raum für wertvolle Selbsterfahrung offeriert, während man gleichzeitig an einem Ort mit irgendwie Palmen und Strand abhängt. Auf das Stichwort „Elternzeit“ folgt bei jungen Müttern und Vätern standardmäßig die Frage „Wann kommst du zurück?“. Beim Sabbaticalisten hingegen steht ganz oben auf der Hitliste: „Und was machst du alles in der Zeit?“, garniert mit einer der bereits erwähnten Prise Neid und vielen Gründen, warum das Ganze bei einem selbst nicht möglich ist.

Zumindest, wenn man Kinder / Eltern / Enkelkinder / Geschwister / gute Freunde hat, lautet meine erste These zu dem Thema inzwischen:  Elternzeit und Sabbatical sind zwei Worte, die eigentlich das gleiche beschreiben. Bei Licht betrachtet handelt es sich um vertragliche Modelle, um eine Organisation für eine begrenzte Zeit mit Rückkehrrecht zu verlassen. Ja, natürlich, der Anlass für die Auszeit mag unterschiedlich sein, die juristische Bewertung grundverschieden und das Sabbatical hat auch erstmal nichts mit Elternsein zu tun. Was jedoch gleich ist: die Auszeit aus dem beruflichen Alltag gibt mehr zeitliche und energetische Ressourcen für das private Leben und gegebenenfalls die Menschen, die daran hängen. Diese Menschen, ob alt oder jung, werden Ansprüche an diese Zeitressourcen stellen. Aber im Übrigen muss man auch ohne Kinder im Sabbatical zum Zahnarzt gehen, Geburtstagsgeschenke für die Familie kaufen, das Auto zum TÜV bringen, die Spülmaschine ausräumen und seine Steuererklärung abgeben. Andersherum kann auch die Elternzeit Ausschlag geben für eine berufliche Standortbestimmung. Das Südseefeeling mag sich bei denen einstellen, die wirklich den Mut und die finanziellen Mittel für eine Weltreise haben. Ich finde jedoch auch einen hohen Sinn darin, ein Jahr jenseits der bewährten beruflichen Pfade zu verbringen und mein Alltagsleben zum einen wieder etwas bewältigbarer zu machen und zum anderen mit schönen Erlebnissen zu füllen – auch ohne Hängematte am Strand.

Was ist eigentlich ein Hobby?

Natürlich ist unbestreitbar, dass mehr Zeit und mehr Kraft für verschüttete oder neue Hobbies vorhanden ist, und der Blick sich öffnet für die eigenen Interessen. Die zeitlichen Möglichkeiten, wirklich mal den Keller aufzuräumen, das Bücherregal auszumisten, oder die Küche zu streichen, sind endlich nicht mehr auf das Wochenende beschränkt. Eine weitere Beobachtung: Was ein Hobby überhaupt ist, womit man gern freiwillig seine Zeit verbringt, wenn man damit nicht damit Geld verdienen muss – dieses Verständnis ist sehr, sehr unterschiedlich. Der liebevoll gemeinte Rat „Vergiss nicht, was für dich zu tun!“ sagte mir in den letzten Monaten oft mehr über den Menschen, der ihn gab, als über meine eigenen Bedürfnisse. Auch hier sind es die Worte, die bestimmte Bilder beim Gegenüber hervorrufen und eigene Träume von mehr Zeit auslösen. Die Tipps der Gestressten lauten: Höre auf dich! Sei achtsam! Pflege deine Resilienz! Ein ganzer Markt an Literatur, Kursen, und Coaching-Angeboten bietet Begleitung, manche sogar mit Schwerpunkt „Sabbatical“. Achtsamkeitskurse sind das Prozac des von Krisen geschüttelten Mitvierzigers. Dagegen ist auch nichts einzuwenden – aber ich selbst kann darauf verzichten. Mein „was für mich tun“ kann ein Abend als Barkeeperin bei einer Freundin im Café sein. Oder ein ganz normaler „Mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon mails checken, wenn die Kinder weg sind“-Rhythmus an einem Mittwochvormittag. Dafür habe ich vor allem Dinge aus meinem Leben geräumt, die mir Stress verursachen, wie z.B. zu frühe Telefonate; und das hat erstmal gar nichts mit Sabbatical zu tun. Zu akzeptieren, dass das „was für mich tun“ nicht immer in die Standarderzählung von Yoga-Retreats und wellness-Oasen passt, war eine wichtige Erkenntnis in der Zeit, die ich bisher verbringen durfte.

Zeitmanagement und Selbststeuerung

Eine dritte Feststellung: Nur weil man nicht in einer Organisation tätig ist, heißt das nicht, dass man beliebig Zeit hat; nach wie vor ist deutliche Abgrenzung nötig von Erwartungen anderer. „Aber ich denke, du bist im sabbatical?“ höre ich erstaunt, wenn ich: nicht zuhause war, nicht ans Telefon gegangen bin, in den nächsten 14 Tagen keine Zeit für ein Lunch Date habe, mich nicht sofort per WhatsApp melde. Oder wenn ich berichte, dass ich nicht mehr Sport mache als zuvor. Wer es genau wissen will: Für Eltern mit schulpflichtigen Kindern bewegt sich die wirklich ganz echte freie Zeit irgendwo zwischen 3 und 4 Stunden am Tag, malgenommen mit 5 Wochentagen. Minus Erkrankungen, Ferientage, Brückentage, Studientage der Lehrkräfte, Schulfeste. Elterngejammer? Nein – gar nicht! Aber anders als das Hängemattenkopfkino vielleicht suggeriert, sitze ich nicht zuhause und warte auf den nächsten Anruf einer berufstätigen Kollegin, die mir ein Stückchen Zeitkuchen anbietet. Im Gegenteil habe ich mein System der (Selbst-)Steuerung meiner Projekte und To Do’s, das auf David Allen basiert, gerne beibehalten und freue mich über die Entlastung, die es mir bringt.

Ernüchtert? Ähh sorry, so war das jetzt auch nicht gemeint! Ein Sabbatical ist fantastisch! Es lässt Geist und Körper zur Ruhe kommen, führt zu Gelassenheit und schönen Erlebnissen, zu Freiheit im Kopf und zu neuen Ideen. Ich warne nur davor, den Begriff mit zu viel Erwartungen aufzuladen. Und habe die Hoffnung, es dadurch vielleicht für mehr Menschen aus dem Südseefoto in den Rahmen des Möglichen zu holen. Durch ein Coaching im vergangenen Jahr habe ich dem Jahr eine Struktur gegeben, und das könnte vielleicht sowas wie eine Empfehlung oder Sabbatical-Glücksformel sein: je ein Drittel gilt der persönlichen Regeneration, der professionellen Standortbestimmung und der Vorbereitung auf den Wiedereinstieg in die Organisation. So ergab sich ein Rhythmus von 3 mal 3-5 Monaten.

Bislang bewährt sich das Modell. Die persönliche Regenerationsphase mit ausreichend Zeit zum Nichtstun war notwendig, und in ihrer Länge luxuriös. Der Blick auf die eigene Professionalität führte zu ungeahnten Aha-Effekten, auch das eine wertvolle und stärkende Erfahrung. Der Blick auf die Organisation steht bevor und ich kann mich, Phase 1 und 2 im Rücken, wirklich schon darauf freuen. Mein Plädoyer: Freiräume schaffen ist für jedeN sinnvoll. Überlasst diese Idee nicht nur denjenigen mit – selten wirklich umgesetzten – Südseeambitionen! Es muss nicht ein Jahr sein; wie wäre es für den Anfang mit 6 Wochen? Ich würde behaupten, auch dann kann diese Formel helfen, beispielsweise als eine Struktur von als 3 mal 2 Wochen.

„Tu’s doch“, rief schon Eliza Doolittle dem zaudernden Freddy Eynsford-Hill zu. Wer mit Musicals nicht anfangen kann, und zudem weiß, wie es für den armen Freddy ausging, dem lege ich stattdessen das Zitat von Götz Werner ans Herz: „Wer will, findet Wege – wer nicht will, findet Gründe“. Für mich genau die richtige Dosis Achtsamkeit.

Monika Danner

P.S. Der Text war schon weit gediehen, als ich zum Telefonhörer griff. Sie müsse einen Grund für die Verlängerung der Abgabefrist der Steuererklärung eintragen, erklärte die Sachbearbeiterin im Finanzamt barsch, welchen ich denn hätte. Ich war so baff, dass ich „Keinen!“ rief. Und hinterher sehr froh war, die Verlängerung doch bekommen zu haben…