Ich habe einen Französisch Kurs angefangen, nach vielen Jahren ist es an der Zeit, mal wieder über „Je m’appelle“ und „Oui, je comprends un petit peu“ hinauszukommen. Voilà, da sitze ich schon im Kurs mit vier anderen motivierten Frauen unterschiedlichen Alters. Öffentlich finanzierte Erwachsenenbildung fühlt sich ein bisschen an wie ein Besuch in der eigenen Jugend und löst in mir das Gefühl von Sicherheit und Altbekanntem aus. Das Ambiente im Treppenhaus ist linoleum-gebohnert-altbauig und ein ganz kleines bisschen auch bürokratisch deutsch, mit garantiert vom Brandschutz abgenommenen Infokästen zu Räumen und Kursnummern.
Hier herrscht Chancengleichheit für alle; ob Führungskraft, Rentner, Studentin oder Krankenschwester, man wartet brav vor der verschlossenen Tür, bis der jeweils Lehrende mit dem großen Schlüsselbund da ist. Drinnen würde man sich über eingeritzte Botschaften auf den braun lackierten Spanplatten wenig wundern, so sehr fühlt man sich allein geruchsmäßig in die eigene Schulzeit versetzt.
IT in preußisch-blau
Kurse können online gebucht werden auf einer preußisch-blauen website, einem offiziellem Anhängsel von berlin.de, das in der URL stolz die Buchstaben „IT“ an das „VHS“ heranhängt. Ein kleiner Hinweis auf das eigene Werk, das man als online-Redaktion damit geschaffen hat. Man wühlt sich durch Kursnummern und komplexe Masken. Für übertriebenen Marketing-Sprech ist in der Welt der Volkshochschule ohnehin wenig Raum.
An einer Volkshochschule ist, egal wie hektisch die Welt draußen sein mag, die Zeit stehen geblieben, auch wenn es mittlerweile auch in so einem Raum einen Beamer gibt. Er genieße die Arbeit mit den Kursteilnehmern, berichtet Laurent, der sowohl Erfahrung im Unterricht mit Kindern als auch mit Erwachsenen gesammelt hat. Seit nunmehr 12 Jahren ist er in der Erwachsenenbildung als Lehrer tätig. Genau das was er machen will – er hat in Berlin seine Heimat und als freiberuflicher Französisch-Lehrer seinen Wunsch-Job gefunden. „Die Erwachsenen sind motivierter; sie haben sich den Kurs selbst ausgesucht. Es gibt nicht die zusätzliche Aufgabe, für Disziplin zu sorgen, wie bei Kindern. Die Leute kommen mit Lust und ich hoffe, dass sie durch mich noch mehr Lust bekommen – auf die Sprache, auf das Land.“ Nur selten seien TeilnehmerInnen dabei, die eigentlich keine Lust hätten. Der Alltag erfordert von ihm ein hohes Maß an Flexibilität; lange Tage durch Unterricht an den Randzeiten sind die Regel. Sein Tagesrhythmus ist geprägt von den Arbeitszeiten der anderen, die für die Abendkurse nach Büroschluss zu ihm kommen.
Eine Vokabel ist eine Vokabel ist eine Vokabel
Hat sich der Sprach-Unterricht geändert, frage ich. Ehrlicherweise ein bisschen aus der Routine heraus, überall und ständig Veränderung zu erwarten. Change! Digitalisierung! Disruption! Begriffe aus der Welt, in der ich sonst unterwegs bin.
Laurent nimmt sich Zeit und überlegt länger. „Eigentlich nicht.“ Anders als an den Schulen, wo Lehrkräfte und Eltern mal gemeinsam, mal gegeneinander einen aufgeregten Diskurs um Aufmerksamkeitsdefizite, Handymissbrauch und allgemeine Verwahrlosung der Jugend führen, ist Sprachunterricht jenseits von babbel.de für Erwachsene offenbar eine Insel des „Nicht-Changes“. Ein Buch. Ein Vokabelheft. Ein Schreibblock. Eine Tafel. Größte Neuerung: Die Tonbeispiele kommen nicht mehr aus dem Kassettenrekorder, sondern aus dem ipad mit Lautsprecher. Manchmal ein Film über den Beamer. Aber ansonsten? Mehr Arbeit für die Vorbereitung sei für ihn hinzugekommen, erläutert Laurent. Man sei abhängiger geworden von der Technik; und die Recherche nach passendem Material, dem richtigen Video mit den richtigen Vokabeln im Internet gestalte sich aufwändiger. Die TeilnehmerInnen erwarteten, dass es funktioniere; die Erwartungshaltung sei gestiegen. Aber Sprachenlernen ist kein guter Ort für die Ungeduld. Keine wirklich brauchbare App zum Spracherwerb habe er bislang kennengelernt (selbst lernt er neben den vier Sprachen, die er schon beherrscht, derzeit noch Niederländisch und Portugiesisch). Vokabeln sind Vokabeln sind Vokabeln, rein müssen sie ins Hirn, und die Methode, im Gespräch mit den Kursteilnehmern immer wieder nach Synonymen zu suchen, hält er für deutlich zielführender als einzelne Wörter mit Hilfe von Apps auswendig zu lernen.
Reden, Reden, Reden? Geht gar nicht!
In seinem Unterricht versuche er, sich auf das Tempo der Lernenden anzupassen. Seit der Europäische Qualifikationsrahmen Sprachniveaus einheitlich definiert hat, gilt für ihn: Ab Stufe B1/B2 erfolgt der komplette Unterricht auf Französisch; peu à peu führt er die Gruppen dorthin. Gerne hätte er mehr Kontinuität bei den Gruppen, die Unverbindlichkeit der Teilnehmer in der Großstadt habe zugenommen. Dort wo das Angebot geringer ist, meldeten die Menschen sich an und blieben durchgehend. „Mein Ziel ist es, dass die Menschen in meinem Unterricht Fortschritte machen. Dann habe ich das Gefühl, nützlich zu sein; dass es nicht umsonst ist, was ich tue.“
Was ihm zum Sound seiner Arbeit noch einfällt? „Vor allem die Stille ist ganz wichtig. Man konzentriert sich und überlegt, wie man etwas ausdrücken oder schreiben soll. Man denkt immer, dass es im Unterricht, insbesondere im Konversationskurs, nur ums Sprechen geht. Aber ohne die Pausen ist der Unterricht anstrengend. Reden, reden, reden – das geht gar nicht! Es ist wichtig, sich auszuruhen, auch mal nichts von den anderen zu hören, nicht selbst zu sprechen. So wie im Leben auch, man spricht schließlich auch nicht von morgen bis abends. Manchmal vergisst man das!“
Kürzlich steckte mitten in der Stille eine nette Verwaltungsdame den Kopf durch die Tür, gemeinsam mit einem Fotografen, um mal zu sehen, ob man nicht vielleicht den Raum und den Kurs fotografieren könne, für die neue Website. Wir seien eine nette Gruppe, bestätige sie, das Licht sei gut, ob wir vielleicht für die Fotos chinesische Schriftzeichen ans whiteboard schreiben könnten..? Kurze Blicke in der Gruppe, Schulterzucken, nein, dann vielleicht doch woanders, das Foto. Die disruptive Welt, sie fordert ihren Tribut, zumindest: optisch.
A bientôt!
Monika Danner
PS.: In Berlin ist eine große Zahl freier Französisch-Lehrer tätig. Sobald man anfängt, mit dem smartphone nach Gruppen- oder Einzelunterricht zu recherchieren, spült einem das weltweite Netz zuverlässig entsprechende ads in die facebook-Timeline. Agenturen, die für Geld Sätze wie „Französisch quatschen ohne Qual“ produzieren, diese mit einer Qualle illustrieren (QUAL-LE! Haha!!) und dann auch noch diese schmerzfrei in die social media Welt blasen dürfen, gehören meiner Meinung nach jedoch auf den Friedhof der Weichtiere.
PPS.: Für sound of work spreche ich derzeit mit vielen Menschen über den Rhythmus in ihrem Job. Manche ziehen es dabei vor, nicht ihren richtigen Namen anzugeben.