Zum Beispiel Christiano Ronaldo.
Einer der Leistungsträger im Fußball, die nicht mehr in Russland mitspielen dürfen, das konnten wir am Samstag im Spiel Portugal-Uruguay sehen. Den Bildschirm in der Kneipe eher nebenbei verfolgend, flackerte in meinem Gehirn in der Abteilung „unnützes Wissen“ die irgendwann (in der Zeitung? bei facebook? Spiegel online?) gefundene Information zu Christiano Ronaldos Schlafgewohnheiten auf. Ein gutes Thema für Smalltalk@Fußball. Aber auch wert, weiter verfolgt zu werden, denke ich und beginne zu recherchieren. Schließlich ist doch unser Wach- und Schlafrhythmus das erste, was unseren Tag grob in „Leistung“ und „Erholung“ gliedert und uns irgendwie einen Takt gibt.
Von Ronaldo habe ich jedenfalls gehört, dass er 5 x 90 Minuten schläft. Polyphasischen Schlaf nennt man das, gemeint ist ein Muster, bei dem der Schlaf auf mindestens drei Pausen pro Tag verteilt wird. Die Boulevardpresse, die das Thema letzten Herbst strapazierte, wusste noch zu berichten, dass eine Stunde vor dem Schlaf die Nutzung von Bildschirmen verboten ist, dass das Bett stets frisch überzogen sein muss, und, ganz wichtig, der Schlaf allein und in Fötushaltung erfolge. Strenger Tagesrhythmus als Paradigma der Erfolgreichen: Nick Littlehales, Schlafcoach von Ronaldo, verspricht mit seinem Ratgeber „Sleep – Schlafen wie die Profis“, dass wir alle mit der richtigen „Schlafstrategie“ unsere Leistungsfähigkeit erhalten und steigern können, und der acht-Stunden Schlaf zudem ein überholter Mythos sei. Ein bisschen Ronaldo für alle oder übertriebene Selbstoptimierung im letzten Quäntchen unseres Privatlebens, das wir, ohne eine App zu nutzen, nicht nur überstehen, sondern in der Regel sogar genießen?
Ich muss vielleicht dazu sagen, dass ich zu den glücklichen Menschen gehöre, die noch nie ein echtes Schlafproblem hatten, bis vielleicht auf die üblichen unruhigen Nächte mit kleinen Kindern; doch auch diese liegen nun schon etwas zurück. Einen Schlafratgeber brauche ich nicht (dachte ich bislang zumindest), ich schlafe auch auf Dienstreisen stets tief und fest, weiß ungefähr wie viele Stunden gut sind und hole am Wochenende das nach, was mir fehlt.
Ich bemerke jedoch durchaus, dass nicht jede Art von Arbeitsrhythmus damit zusammenpasst. Während ich gerne abends länger mit KollegInnen ein paper diskutieren kann (Schlafforscher nennen diesen Typus „Eule“), ist eine Reise mit dem Sprinter von Berlin nach Frankfurt – das heißt selbst mit der besten aller Zeitoptimierungen für mich Aufstehen mit einer 5 oder sogar 4 auf dem Zeiger – eine wirkliche Qual. Menschen, die gern und problemlos früh aufstehen, nennen Schlafforscher „Lerchen“, ich hingegen brauche zwei volle Tage, um mich davon zu erholen. Zum Glück bin ich in einer Funktion tätig, die es mir erlaubt, mich mit einer Vorabendanreise kräfteschonender zu organisieren und die Termine entsprechend zu planen. Aber wenn mir jenseits dessen jemand erzählen möchte, wie ich zu schlafen habe, damit ich noch mehr Leistung aus meinem Tag herauspresse, werde ich stutzig. Gleichzeitig weiß ich zu würdigen, dass viele Menschen eben nicht gut schlafen, und vor allem nicht die Erholung finden, die sie eigentlich bräuchten.
Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild, wie Christiano Ronaldo, im Hintergrund der Schlafcoach mit der Uhr in der Hand, seine misslaunigen Teamkollegen von Real Madrid nachts um drei für eine Trainingssession aus dem Bett holt, weil bei ihm gerade wieder ein 90 Minuten-Slot rum ist. Voller Vorurteile greife ich nach Littlehales‘ Buch in der örtlichen Buchhandlung, kurz vor dem Regalbrett „Achtsamkeit“. Die Kapitel heißen „Effizient schlafen“ „R90 in der Praxis“ oder auch „Ihre persönliche Bestmarke“, die Infokästen „Sieben Schritte zu smarterem Schlaf“. Viel Management-Sprech, dazwischen aber doch ein paar kluge Gedanken. Littlehales spricht beispielsweise viel über den Rhythmus, den das Tageslicht gibt, und dass wir diesen, durch die Nutzung von künstlichem Licht, und mehr noch, durch das blaue Licht der Bildschirme, zunehmend beeinflussen. Vermeintlich im Entspannungsmodus durch die facebook-timeline scrollend, sorgen wir damit dafür, dass unser Gehirn auf Wachsein gepolt wird und sich erstmal tüchtig wundert, wenn wir den Kopf dann doch ins Kissen betten.
Hat das Buch Berechtigung? Letzten Endes entpuppen sich die harte Regeln an vielen Stellen als Fassade für Thesen, die mehr Verwandte im Achtsamkeitsregal haben, als Littlehales vielleicht selbst plante. Letztendlich geht es ihm vor allem um das Zulassen von Selbstbeobachtung, was den eigenen Rhythmus betrifft und die Etablierung von Strategien, eigene körperliche Bedürfnisse besser im Alltag zu verankern. Wenige handfeste Tipps zur richtigen Matratze und zur richtigen Temperatur, sowie zur besten Schlafposition (Fötus!) gehören vielleicht standardmäßig und von Verlagen gefordert in diese Art von Ratgeberliteratur und als solcher wird er ja auch verkauft. Die 5 x 90 Regel entpuppt sich als eine Planung von nächtlichen Schlafzyklen, die idealerweise nicht unterbrochen werden und der Würdigung von längeren Pausenzeiten untertags. Auch Christiano Ronaldo schläft nachts um drei und lässt – vermutlich – die Teamkollegen in Ruhe.
Was mir wirklich gefällt, ist, dass Bücher wie dieses dem Schlaf die Bedeutung zuzumessen, die er allein zeitlich in unserem Leben verdient. Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir damit! Die kritische Beobachtung, wie wir besonders durch Nutzung unserer smartphones morgens und abends derzeit diesen Schlaf systematisch selbst kürzen oder zumindest beeinträchtigen, und damit unmittelbar unseren Rhythmus stören, hat ihre Berechtigung. Zudem Nichtschlafen in vielen Jobs, gerade im Management, ohnehin dazugehört und irgendwie als cool gilt. Leistungsträger schlafen nicht, weil ihre erfolgreiche Arbeit das nicht zulässt. Wer war nicht auch schon einmal auf einer Konferenz, wo es als sozial erwünscht galt, möglichst lange abends mitzufeiern und morgens wieder frisch und munter als Erste/r im Plenum zu sitzen?
Das ist natürlich ok (findet auch Littlehales – als Ausnahme natürlich!). Ok ist es aber auch, als Organisation im Job-Alltag einen Rhythmus zu ermöglichen, in dem Erholung und Leistung ein natürliches Gleichgewicht finden. Und das hat sowohl mit Leistung zu tun, die dadurch erst möglich wird, aber auch einfach mit dem Recht auf körperliches Wohlempfinden. Tandemploy, ein Berliner startup, das sich auch sonst viel mit neuen Arbeitsformen beschäftigt, wurde just für seinen Schlafraum mit Hängematte und Bett vom Berliner Tagesspiegel als Top Arbeitgeber ausgezeichnet. Ein kleines Beispiel macht noch lange keinen Trend, aber das Bewusstsein für den Wunsch nach Pausen nimmt zu und das ist toll!
Und Ronaldo? Der musste, ausgeschlafen, mitsamt Team wieder aus Russland abreisen. Eine Lerche, ähh… Schwalbe macht eben noch keinen Sommer.
Gute Erholung im Alltag wünscht
Monika Danner
PS: Für den unwahrscheinlichen Fall, dass du, lieber müder Leser, diesen Text nun gerade abends auf deinem Smartphone liest und damit deinen Melatoninspiegel ärgerst: Hier eine Auswahl dessen, was du nach Nick Littlehales tun musst, damit du besser einschläfst. Mach einfach Foto und lies es morgen, ja?
- Beobachte dich und dein Schlafverhalten, und welche Gewohnheiten dazu führen, dass du deinem Rhythmus nicht folgst
- Beziehe Tageslicht aktiv in deinen Alltag ein und gehe so viel wie möglich raus, um deine natürliche Uhr zu erhalten
- Plane tagsüber eine Erholungsphase im Zeitfenster zwischen 13 und 15 Uhr
- Lege beim Arbeiten alle neunzig Minuten eine Pause ein, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen… Meide technische Geräte in diesen Zeitfenstern (das bedeutet auch: ein Zwei-Stunden-Meeting gibt es nicht. Oder nur mit Pause)
- Nutze abends vor dem Schlafengehen keine Bildschirme
- Stehe möglichst zur gleichen Zeit auf und plane die Zeit davor grob in 90 Minuten-Zyklen, in denen du nicht gestört wirst
- Verändere deine Haltung gegenüber Menschen, die tagsüber schlafen – sie sind nicht faul!